Arbeitszeitreduktion : Eine Rechnung mit 2 Wirten
Mit durchschnittlich 1.424 gearbeiteten Stunden platziert sich Luxemburg in den TOP-TEN der OECD Länder, in denen am wenigsten gearbeitet wird (1). Mit 26 Urlaubs- und 11 Feiertagen sind wir in Sachen Freizeit hingegen ganz vorne mit dabei. Laut einer Veröffentlichung des Statec sind in Luxemburg 6 von 7 Arbeitnehmer mit Arbeit und Arbeitsbedingungen zufrieden und auch was die Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern betrifft, sind wir Spitzenreiter.
In Luxemburg werden weltweit die höchsten Löhne gezahlt. Wir sind Lohnweltmeister. Von unseren Nachbarländern schafft es nur Belgien in die ersten 10. Deutschland belegt Rang 13 und Frankreich rangiert auf dem 17. Platz. Wer Arbeitszeiten vergleicht, sollte auch berücksichtigen, dass das Medianeinkommen in Luxemburg fast doppelt so hoch ist wie in unseren Nachbarländern.
Was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft betrifft, müssen wir uns mit dem 12. Platz (World Competitiveness Index 2021) zufriedengeben, dies sei aber nur am Rande erwähnt. Trotzdem schafft es unsere Wirtschaft, und hier insbesondere der Finanzplatz, jahrein- jahraus dem Staat komfortable Steuereinnahmen zu generieren und so die insgesamt zufriedenstellende soziale Lage finanziell überhaupt erst zu ermöglichen.
Objektiv betrachtet kann man davon ausgehen, dass der Ist-Zustand, was die Arbeitsbedingungen in Luxemburg betreffen, gar nicht mal so schlecht ist. In Zeiten von globalen Pandemien, Versorgungskrisen und militärischen Auseinandersetzungen mitten in Europa müsste die Herausforderung und die Verantwortung der Regierung zuerst einmal darin bestehen, diese ebenso beneidenswerte wie auch prekäre Situation abzusichern.
Wer so denkt hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der frischgebackene Arbeitsminister hat das Repertoire seines Vorgängers übernommen und versucht in der aktuellen Situation eine allgemeine Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich auf die Agenda zu setzen.
Kritische Stimmen könnten der LSAP damit eine Beschwichtigungsgeste gegenüber dem OGB-L unterstellen, da diese sich weigerte dem unabhängigen Gewerkschaftsbund beim heldenhaften Sturz von der Tripartiteklippe blindlings hinterher zu springen.
Aus klassenkämpferischer Perspektive ist Arbeit ein Unterdrückungsverhältnis, welches man sich, wenn überhaupt, nur in sehr geringen Dosen zumuten sollte. Da die LSAP intern immer noch darüber rätselt, ob ihr die Nähe zum OGB-L schlussendlich dient oder doch eher schadet, führt der Arbeitsminister zur Sicherheit sein Arbeitsreduktionstänzchen auf, um Zeit zu schinden.
Objektiv gesehen gibt es für eine Reduktion der Arbeitszeit weder einen konkreten Anlass noch wird sich in der Regierung eine politische Mehrheit dazu finden. Die Begründung hat Georges Engel ebenfalls von seinem Vorgänger Dan Kersch übernommen, der dem Vernehmen nach als purpurrote Eminenz aus der Fraktion heraus bei der LSAP die Strippen zieht, und zwar genau so wie es der OGB-L wünscht. Demnach ist eine Arbeitszeitverkürzung nötig, um die Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen zu beteiligen, die die Wirtschaft u.a. durch die Digitalisierung erzielt hat. Wobei leider nicht gleich jedem ersichtlich wird, wie diese Produktivitätsgewinne denn aussehen sollen.
Der Nationale Produktivitätsrat (Conseil National de la Productivité) stellt in seinem Jahresbericht 2021 fest, dass die Arbeitsproduktivität seit Beginn der 2000er Jahre mehr oder weniger auf der Stelle tritt. Zudem gibt es signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Handwerk, Handel und Horeca schneiden z.B. wesentlich schlechter ab, als Industrie und insbesondere der Finanzsektor.
Ob die ominösen Produktivitätsgewinne auch außerhalb der OGB-L/LSAP Blase tatsächlich existieren, ist demnach zumindest fraglich.
Der Arbeitsminister hat angekündigt, dass man zum Thema Arbeitszeitreduktion eine Studie in Auftrag gegeben hat. Ungefragt, unnütz, und in der Methode untauglich. In der Tat setzt der Arbeitsminister eigenen Aussagen zufolge ganz auf den sozialen Dialog, nur um dann in einer seiner ersten Amtshandlungen überhaupt, diesen geflissentlich zu ignorieren und eine Befragung der Unternehmen zum Thema ohne vorherige Absprache mit den Sozialpartnern zu lancieren. Wobei doch jeder weiß, wieviel Sprengkraft bereits im Fragebogen liegt und der Objektivität somit keinesfalls gedient ist.
Da eine Arbeitszeitverkürzung nicht im Koalitionsprogramm vorgesehen ist, muss zudem die Frage erlaubt sein, warum der Steuerzahler so eine Studie finanzieren sollte. Der Verdacht, dass damit der Vorwahlkampf der LSAP eingeläutet wird, ist nicht aus der Luft gegriffen. In Österreich hat Kanzler Kurz über geschönte Umfragen, die seine Partei in ein gutes Licht rücken sollten, sein Amt verloren.
Um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, hat der Arbeitsminister bereits jetzt verkündet, dass die Studie, die gerade in Auftrag gegeben wurde, eine Reduzierung der Arbeitszeit empfehlen würde. Im Ausland hätte der Minister nun einen handfesten Skandal an der Backe.
Von der Form abgesehen, stellen sich in Sachen Arbeitszeit gerade in Luxemburg zahlreiche Fragen.
Sämtlichen Wirtschaftszweigen und sogar der öffentlichen Hand fehlt es an Arbeitskräften. Wenn man dieses rare Gut durch eine Arbeitszeitverkürzung politisch noch weiter verknappt, werden die Auswirkungen weit über den Arbeitsmarkt hinaus zu spüren sein.
Das Arbeitsvolumen wird nicht abnehmen, im Gegenteil. Geht man als Beispiel von einer Reduzierung der Arbeitszeit von 10 Prozent aus, müssen theoretisch von heute auf morgen 50.000 zusätzliche Arbeitnehmer eingestellt werden. Von wo sollen diese Arbeitnehmer herkommen? Wo sollen diese Arbeitnehmer wohnen? Was wird das für Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt und das dortige Preisniveau haben? Über welche Straßen sollen diese zusätzlichen Arbeitnehmer jeden Morgen ins Land gefahren kommen.
Der OGB-L kann es sich leisten, diese Fragen auszublenden. Ein Minister kann und sollte sich den Luxus der selbstzufriedenen Ahnungslosigkeit nicht leisten.
Es hört sich für die Politik immer gut an, wenn man die Verantwortung und die Kosten einer Maßnahme an die Unternehmen outsourcen kann. Dabei gibt es aber Grenzen.
Wenn die LSAP und andere Parteien, die so etwas befürworten, ehrlich sind, müssten sie der Öffentlichkeit klar machen, dass eine Verringerung der Arbeitszeit mit einem Wohlstandsverlust verbunden sein wird, der bei den Unternehmen, den Arbeitnehmern und im öffentlichen Haushalt zu spüren sein wird.
Die Parteien und die kommende Regierung müssen sich überlegen, ob es nicht lohnender wäre, in einer Situation der extremen Unsicherheit die Arbeitsplätze und das Lohnniveau abzusichern anstatt Experimente zu riskieren. Wir werden in Zukunft mehr Arbeitskräfte anziehen müssen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Jetzt eine Arbeitszeitreduktion durchzuziehen, wäre ein Schuss ins Knie. In beide.
Christian Reuter
Secrétaire général adjoint
(1) OCDE (2022), Heures travaillées (indicateur). Loi: 10.1787/90b614ce-fr