Der Luxemburger Sonderfall!?

Der Luxemburger Sonderfall!?
Ist Luxemburg in der europäischen Staatengemeinschaft ein Sonderfall? In der Tat scheint das Grossherzogtum zumindest an der Oberfläche gegen eine ganze Bandbreite von Problemen, die anderen Regierung die größten Kopfschmerzen bereiten, immun zu sein.
Luxemburger Unternehmen zahlen weltweit die höchsten Löhne, obwohl wir in puncto Produktivität, Rentabilität und allgemeiner Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich inzwischen weit abgeschlagen sind und auf den hinteren Plätzen rangieren.
Luxemburg zahlt die höchsten Sozialleistungen und Renten und während die entsprechenden Finanzierungsmodelle nicht nachhaltig sind, werden diesbezügliche Probleme lieber tot geschwiegen, als sie auf die politische Agenda zu setzen.
Kein anderes Land ist auf den stetigen Zufluss von ausländischen Arbeitskräften angewiesen wie Luxemburg und doch leisten wir uns rigide, unproduktive Arbeitsbeziehungen, die weder auf die zeitgemäßen Bedürfnisse der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber zugeschnitten sind.
Die direkten und indirekten Steuereinnahmen des Finanzplatzen tragen zu einem wesentlichen Ausmaß zum relativen Wohlstand in Luxemburg bei und doch weder die öffentliche Meinung noch die Politik scheinen dies zu schätzen zu wissen.
Als kleines Land wären Agilität und die geschickte Positionierung bei der Umsetzung von europäischen Rechtsvorgaben ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil. Trotzdem gelingt es uns systematisch den eigenen Handlungsspielraum und den der Wirtschaft eigenmächtig noch stärker zu beschneiden, als die entsprechenden Direktiven uns das vorgeben.
In vielen Bereichen tun wir scheinbar das Gegenteil von dem was angesichts unserer spezifischen Situation ratsam wäre.
Und trotzdem geht es uns do scheinbar gut.
Ist Luxemburg ein Sonderfall auf welches Erfolgs- und Katastrophenrezepte nicht anwendbar sind?
Weltbank, FMI, die europäische Kommission warnen in ihren jeweiligen Berichten seit Jahren vor den mannigfaltigen Schieflagen, die wir uns in erlauben.
Mit einer guten Portion Überheblichkeit werden Einschätzungen und Analysen ausländischer Beobachter als Schwarzmalerei abgetan. Was kennen die schon von Luxemburg, so die Meinung von Gewerkschaften und einem nicht kleinen Teil der politischen Klasse.
Im gleichen Atemzug werden auch Erkenntnisse und Analysen des Statec, verschiedenen Beobachtungsstellen, den Ministerien und Verwaltungen und natürlich der Arbeitgeber als Meinungs- und Panikmache abgetan, wenn sie sich nicht mit der eigenen Agenda decken.
Nun gibt es überall Menschen und Organisationen die der Überzeugung sind oder die es politischen Kalkül die Ansicht verbreiten, dass sich alle Probleme in Luft auflösen, wenn man sie nur lange und beherzt genug unter den Teppich kehrt.
Doch in wohl kaum einem anderen Land hat die Fraktion der Realitätsverweigerer so einen starken institutionellen und politischen Einfluss.
Es sind nicht fundierte Analysen, strategische Zielsetzungen oder gar die beobachtbare Realität, die das politische Handeln in Luxemburg an vorderster Stelle zu leiten scheinen.
Nein es ist vielmehr ein Narrativ, das als eine Art nationales Glaubensbekenntnis auf Gedeih und Verderb herhalten muss.
Das Narrativ wird durch das sogenannte Luxemburg Modell verkörpert, d.h. einem institutionalisierten Dialog zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften über wichtige wirtschaftliche und soziale Fragen mit dem Ziel, einen Konsens zu finden.
Die Geburtsstunde des Luxemburger Modells war die Stahlkrise in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bei der das Großherzogtum sich nicht weniger als neu erfinden musste.
Dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung in einem Boot saßen und einem Strang zogen war sicherlich ein wesentliches Erfolgsrezept bei der Bewältigung dieser existenziellen Herausforderung.
Noch maßgeblicher war die konsequente wirtschaftliche Diversifierungspolitik, die unter den Regierungen Werner und Thorn geführt wurde, dem wir u.a. den Finanzplatz zu verdanken haben. Dieser Umstand findet heute weniger Beachtung.
Ohne diese Wirtschaftspolitik würde es heute wohl, Luxemburger Modell hin oder her, im Großherzogtum nicht viel anders aussehen als in der Lorraine, der Wallonie, dem Saarland und anderen Gebieten, die sich nie vom Niedergang des Stahlindustrie erholt haben.
Irgendwie ist es schon erstaunlich, dass nicht die visionäre Wirtschafts- und Standortpolitik ins politische kollektive Gedächtnis eingegangen ist, sondern ein Gesprächsformat an dem Sozialpartner und Regierung an einem Tisch sitzen.
Die Politik glaubt also bis heute felsenfest es sei die Fassade, die das Haus zusammenhält und nicht das Fundament auf das es erbaut wurde.
Bis heute haben sich diese Formate erhalten, wobei die bekanntesten die sogenannte Tripartite und der ständige Beschäftigungsausschuss bilden.
Doch das Luxemburger Modell prägt weit über diese Institutionen hinaus das Selbstverständnis und die Denkweise der politischen Klasse.
Das Luxemburger Modell und der institutionalisierte Sozialdialog werden als nationales Erfolgsmodell stipuliert und sind nicht zu hinterfragen.
In der Praxis hat das Luxemburger Modell nicht mehr viel mit dem Grundgedanken gemein, dass Probleme im partnerschaftlichen Einverständnis aufgrund nationaler Interessen angegangen werden.
Seit mehreren Jahrzehnten ist das Luxemburger Modell zu einem Macht- und Durchsetzungsinstrument der Gewerkschaften geworden, denen es so gelungen ist sich in wesentlichen Punkten im Interesse ihrer Mitglieder der Politik zu substituieren.
Sozialdialog jenseits der geschichtlichen Verklärung sieht so aus, dass Gewerkschaften unilaterale und nicht verhandelbare Forderungen stellen, die Regierung und Arbeitgeber zu schlucken haben und deren Ergebnisse in der Regel von der Allgemeinheit zu bezahlen sind. Ob die Forderungen im nationalen Interesse sind, oder gar nur im Interesse der Arbeitnehmer spielt dabei eigentlich keine Rolle mehr.
Als Totschlagargument wird der soziale Frieden bemüht, welches in der Regel jeder Diskussion in Luxemburg ein Ende setzt bevor diese richtig begonnen hat. Hinter vorgehaltener Hand provoziert das klassenkämpferische Gehabe und die realitätsferne bei der Politik Kopfschütteln. Wenn es dann aber ernst wird, reichen einige hundert Fahnenträger der Gewerkschaft, die an einem freien Nachmittag durch die Stadt spazieren aus, um jede Regierung in die Knie zu zwingen, wenn sie nicht im vorauseilenden Gehorsam nicht schon früher umgefallen sind. Alle beschwören den sozialen Frieden und zahlen jeden Preis, den von den Gewerkschaften verlangt wird. Dort wo es an politischem Mut und Überzeugungen mangelt gibt es ja Geld mit dem man die Probleme aus der Welt schaffen kann. Welche Tripartite der letzten 30 Jahre hat ein strukturelles Problem angepackt? Vermutlich keine.
Dank unserer Nischenpolitik und unserem wirtschaftlichen Erfolgsmodell waren wir bis jetzt in der Lage den sozialen Frieden zu den Konditionen der Gewerkschaft zu kaufen anstatt im allgemeinen Interesse zu verhandeln.
Doch die Luft wird langsam eng. Immer mehr Ländern in der Welt werden zu Mitbewerbern. Die Wettbewerbsfähigkeit, von der keiner in Luxemburg etwas wissen will, schmilzt wie Eis an der Sonne. Die verschiedenen wirtschaftlichen und finanziellen Gesetzmäßigkeiten, die für Luxemburg ausgehebelt sind, greifen anscheinend doch.
Das Umfeld der Unternehmen und auch die Arbeitsbeziehungen unterliegen einem sehr dynamischen Wandel auf den sich Wirtschaft und Politik so langsam einstellen müssten.
Doch sie haben es erraten. Was zählt mehr als Zahlen und Fakten? Richtig, das Luxemburger Modell, dass nichts mehr mit Transformation und Agilität bei der Bewältigung von Krisen zu tun hat, sondern mit Besitzstandsdenken und Machtpositionen.
Noch immer setzt die Politik die Haltung der Gewerkschaft mit Arbeitnehmern gleich obwohl diese offen zugeben nur die finanziellen Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen und sie sich nicht im geringsten für nationale Interessen verantwortlich fühlen.
Im gleichen Atemzug fordern die Gewerkschaftsbosse, dass die Regierung im Sinne des Luxemburger Modell nur Entscheidungen treffen darf, die von ihnen höchstselbst abgesegnet wurden.
Ein Paradox. Wir sind für nichts zuständig aber wollen alles entscheiden…und die Politik spielt mit.
Im Sinne demokratischen Gepflogenheiten und auch im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Landes würde es der Regierung und der Politik gut zu Gesicht stehen, dieses althergebrachte Narrativ einer kritischen Bewertung zu unterziehen und sich gegebenenfalls davon und von dem Allmachtsanspruch der Gewerkschaften zu emanzipieren.
Wenn wir davon ausgehen, dass wir keinen „Sonderfall“ der Geschichte bilden, braucht Luxemburg ein neues Narrativ, um in den kommenden Jahren bestehen zu können und der Bevölkerung einen Lebensstandard ermöglichen zu können, das es bis heute gewohnt ist. Jenes Narrativ muss wieder auf Tugenden wie Leistungsbereitschaft, Agilität, Neugierde und Unternehmertum zurückgreifen. Mit Realitätsverweigerung und Besitzstandsdenken kommen wir nicht mehr weiter. Daran sollte die Regierung denken, wenn die Fahnen wieder durch die Straßen ziehen.