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FÉDÉRATION DES ARTISANS

Blog n°2 Die Zukunft der Arbeit

11 octobre 2022

 

Leben um zu arbeiten oder arbeiten um zu leben? Die Frage lässt einen Gegensatz vermuten, der in der Realität in dieser Form nicht existiert. Arbeit ist ein Teil des Lebens und auf der Arbeit findet  „Leben“ statt, das viele Arbeitnehmer nicht mal als so unangenehm empfinden. Für die meisten Menschen gehört ihr Beruf zu ihrer Identität, über die sie sich definieren. Erwerbsarbeit ist Existenzgrundlage und den Arbeitsplatz zu verlieren, ist ein traumatisches Ereignis.

Die Arbeitsbedingungen entwickeln sich ständig weiter. Während schwere körperliche Arbeit dank technischen Fortschritts eher die Ausnahme darstellt, werden Organisation und Kommunikation auf dem Arbeitsplatz immer komplexer und herausfordernder.

Auch die Einstellung zur Arbeit wandelt sich. Während Babyboomer noch Karriere machen wollten, ist für die Vertreter der Generation Y die Sinnhaftigkeit und der gesellschaftliche Wert ihrer Arbeit wichtig.  Inwieweit diese mediale Schubladisierung in der Realität tatsächlich stattfindet, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist, dass die Arbeitswelt komplexer geworden ist, genauso wie unser Privatleben.

Die Politik ist sich nicht sicher, wie sie diesen Prozess begleiten soll. Die Wohlstandnationen müssen dafür sorgen, dass die finanziellen und materiellen Grundlagen einigermaßen stabil bleiben, aber mit wachsendem Wohlstand ändern sich die Ambitionen und Ansprüche der Menschen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits der russische Psychologe Abraham Maslow stipulierte 1943 in seiner Bedürfnispyramide, dass in wohlhabenden Gesellschaften, in denen physische und soziale Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sind, die Menschen zunehmend ihren ganz individuellen Bedürfnissen nachgehen möchten. Inwieweit der Staat oder die Allgemeinheit bei der Selbstverwirklichung ihrer Bürger überhaupt noch in der Verantwortung stehen kann, ist eine andere Geschichte.

Seit einigen Jahren hat die Regierung die Work-Life Balance als Spielwiese für sich entdeckt. Neben Elternauszeit, Vaterurlaub sind aktuell 7 Maßnahmen in der Pipeline, um die Work-Life Balance der Menschen zu verbessern.

Es stellt sich die Frage, ob im Eifer des Gefechtes der ursprüngliche Sinn der Erwerbsarbeit aus den Augen verloren wurde. Bei einem Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer eine gewisse Arbeit zu leisten und der Arbeitgeber verpflichtet sich, diese Arbeit zu entlohnen. Dieses Arbeitsverhältnis entwickelt sich zunehmend in ein Versorgungsverhältnis. Der Arbeitnehmer ist zuständig dafür, dass der Arbeitnehmer Kinder versorgen, Familienmitglieder pflegen und sich ehrenamtlich engagieren kann.   

Das ist alles gut gemeint und Unternehmen sind nachweislich bereit, soziale und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Aber wo ist der Punkt erreicht, an dem die Unternehmen, vor allem die kleinen, überfordert sind? Glaubt man mittelständischen Unternehmen ist dieser Punkt bereits heute erreicht.

Ganz aus dem Blick geraten ist die Tatsache, dass unsere kollektive Arbeitsleistung, die hergestellten Produkte und erbrachten Dienstleistungen unseren Wohlstand sichern. Die Unternehmen sollen Werte schaffen. Die Umverteilung und das „Soziale“ findet später über Steuern statt.  Das ist jedenfalls die Idee hinter der sozialen Marktwirtschaft. Seit einiger Zeit hat es jedoch den Anschein, dass die Politik den Menschen immer mehr «Nicht-Arbeit» ermöglichen möchte, die Verantwortung und den Kostenpunkt aber auf die Unternehmen abwälzen möchten. Das hat natürlich seine Grenzen. In mittelständischen Unternehmen wird der Tag kommen, wo das Ganze organisatorisch nicht mehr zu stemmen sein wird, zumindest nicht wenn man ein Mindestmaß an Rentabilität voraussetzt. Für Banken, Finanzdienstleister und Industrie ist die Standortfrage sowieso ein laufender Prozess, der ständig neu bewertet wird.

Eine Verringerung der Arbeitszeit, wie zurzeit von der LSAP ins Gespräch gebracht wird, gekoppelt an einen chronischen Fachkräftemangel, riskiert in diesem Kontext ein Kipppunkt zu werden.

Diskussionen rund um Arbeit und Arbeitsorganisation sind in Luxemburg allgemein mühsam, vor allem da eine Gewerkschaft die Arbeitsbeziehungen exklusiv durch die klassenkämpferische Brille sieht. Dieser negative Blick auf Erwerbsarbeit erschwert natürlich die Entwicklung neuer, progressiverer Beschäftigungsformen. Obwohl 7 von 10 Beschäftigte keinen Anlass sehen, bei Sozialwahlen ihre Stimme abzugeben, prägt die radikale Sichtweise des OGB-L und sein Allgemeinvertretungsanspruch die ganze politische Debatte und dies nicht zum Guten.

Wie wird die Arbeit in Zukunft aussehen? Werden wir (hart) arbeiten müssen, um unser Wohlstandsniveau zu halten? Natürlich! Ist der 8 Stundentag und die 40 Stundenwoche die einzig mögliche Organisationsform? Natürlich nicht! Es gibt Zeiten im Leben, wo das Familiäre im Zentrum steht, und andere Zeiten, wo der Job wichtiger ist. Eine Referenzperiode von einem Jahr wäre die Grundlage für alle individuelle Flexibilitätsmodelle.

Flexiblere Arbeitsmodelle können nicht von oben herab dekretiert werden. Lösungen müssen in den Unternehmen zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter gefunden werden. Die Politik muss eine eigenständige Sicht auf die Arbeitswelt entwickeln, um diese Flexibilität zu ermöglichen, und den Parteien etwas Vertrauen entgegenbringen, damit sie vorteilhafte Lösungen für beide Seiten finden. Dies bedeutet im Vergleich zur heutigen Situation ein Paradigmenwechsel. In der jetzigen Konstellation und dem vorherrschenden Mindset ist eine Modernisierung der Arbeitswelt, in der wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Erfüllung individueller Ansprüche vereinbar sind, jedenfalls nicht möglich. 

 

Romain Schmit

Generalsekretär der Fédération des Artisans